Russland

Während des Russischen Reiches bis 1917 gab es 13 römisch-katholische Diözesen und eine Apostolische Administratur. Die Mehrzahl dieser Jurisdiktionsbezirke lag im Königreich Polen, welches seinerzeit vom Zaren regiert wurde, ohne jedoch engere Bindungen an Russland zu besitzen: es handelte sich um die Erzdiözese Warschau und die Diözesen Sejny/Augustów, Kalisz, Kielce, Lublin, Płock und Sandomierz. Im heutigen Litauen gab es die Bistümer Wilna und Telšiai.

Auf dem Gebiet der heutigen Nordwestukraine lagen die Bistümer Lutsk und Zhytomyr, während die Süd- und Ostukraine, das gesamte südliche Russland, Georgien und Armenien zum Bistum Tiraspol gehörten. Die Bischofsresidenz befand sich nach Errichtung der Diözese im Jahr 1848 zuerst in Odessa und später im südrussischen Saratov. Die Kleinstadt Tiraspol, in der es faktisch keine katholischen Strukturen gab, liegt in Transnistrien, dem heute unter russischem Einfluss stehenden Teil von Moldawien, doch nur etwa 1,5 Prozent des Bistums Tiraspol gehören tatsächlich zu Moldawien.

Die Diözese Minsk, welche das heutige Weißrussland umspannt, wurde 1869 vom Zaren aufgehoben. Der Heilige Stuhl erkannte diesen Schritt zwar nicht an, ernannte 1882 aber dennoch den ersten Apostolischen Administrator von Minsk. Er wie auch seine Nachfolger waren allesamt Erzbischöfe von Mohilew. Erst am 02.11.1917 konnte Minsk als Diözese restauriert werden.

Die nicht-polnischen Diözesen, also Wilna, Telšiai, Lutsk und Zhytomyr, Tiraspol sowie Minsk, waren Suffragane des Erzbischofs von Mohilev, der in Sankt-Peterburg residierte. Zu dessen Jurisdiktion gehörten das gesamte nördliche Russland, Sibirien, Kasachstan und Weißrussland.

Die Hierarchen von Minsk und Mohilew haben nie in ihren Titularstädten gelebt, die seinerzeit nur unbedeutende Kleinstädte waren. Sie führten diese Titel lediglich, weil die russischen Behörden der Kirche die Errichtung eigener Diözesen auf ur-orthodoxem Boden untersagten.

Im Unterschied zu den meisten Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas, die erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu kommunistischen Diktaturen wurden, erfolgte im Russischen Reich bereits 1917 der Umsturz, der nach nur wenigen Monaten in der Oktoberrevolution mündete. Schon zur Zarenzeit, insbesondere aber nach der Gründung der Sowjetunion 1922, waren die orthodoxe Kirche gleichgeschaltet oder behindert und die katholische Kirche, die oftmals polnischer Prägung war, massiv unterdrückt. Während des Stalin-Terrors, der seinen Höhepunkt in den Jahren 1935 bis 1939 fand, wurden Bischöfe, Priester und Gläubige deportiert und ermordet. 1917 existierte in Moskau eine kleine, von der Orthodoxie abgespaltene Gemeinde des byzantinischen Ritus, die einem Apostolischen Exarchen unterstand. P. Leonty Leonid Fedorov, M. S. U., der keine Bischofsweihe besaß, starb am 7. März 1935 an den Folgen der Haft; am 27.06.2001 hat die Kirche ihn als Märtyrer selig gesprochen. Der griechisch-katholische Metropolit Andrej Sheptyckyi von Lviv ernannte am 17.09.1939 seinen Bruder, Abt Klymentiy Sheptyckyi, M. S. U., zum neuen Exarchen für Russland und Sibirien; am 22.11.1941 erfolgte die päpstliche Bestätigung. Exarch Klymentiy, der kein Bischof war, starb am 01.05.1951 im Gefängnis von Wladimir. Auch er wurde am 27.06.2001 selig gesprochen. Hierüber hinaus soll 1943 der aus Kazan stammende Jesuit Viktor Novikov, der 1939 unter dem Pseudonym Makovski in Russland eintraf und nach 1942 Exarch für die russischen Katholiken in Sibirien war, die Bischofsweihe erhalten haben.

Exarch Sel. Leonty Leonid Fedorov, M. S. U.

Nach der kommunistischen Revolution von 1917 verblieben zwei Diözesen in Russland: Mohilew und Tiraspol. Unter dem Titel des weißrussischen Mohilew residierte Erzbischof Eduard von Ropp, der auch die russischen Gebiete verantwortete, und Jan Cieplak diente ihm als Weihbischof. Bischof des Suffraganbistums Minsk war Zygmunt Łoziński. Tatsächlich jedoch exilierte Erzbischof von Ropp bereits 1919, und Josef Aloysius Kessler, Bischof von Tiraspol, verließ das Land 1920. Bischof Jan Cieplak, der Mohilew seit 1919 verwaltet hatte, wurde 1922 inhaftiert und zum Tode verurteilt. Er wurde dann entlassen und reiste 1924 nach Polen aus. Bischof Łoziński war seit 1920 im Gefängnis, und 1921 verließ auch er Russland. Anfänglich konnten für Tiraspol noch personelle Vorkehrungen getroffen werden, indem in Tiflis von 1920 bis 1922 der Titularbischof von Cidiesso und frühere Bischof von Cuneo im italienischen Piemont, Mons. Natale Gabriele Moriondo, O. P., als Apostolischer Visitator für den Kaukasus arbeitete, dessen Nachfolger 1923 für wenige Jahre Titularerzbischof Adrianus Smets aus den Niederlanden wurde, ehe die Seelsorge vollständig unterdrückt wurde. Bischof Kessler wurde 1930 Titularerzbischof von Bosporo; seit 1920 lebte er im deutschen Exil. Nachfolger von Administrator Ter-Abraamian war seit 1923 Akop Bacaratian, der 1928 geheim zum Bischof ernannt wurde und der nur zwei Jahre darauf dem Stalin-Terror zum Opfer fiel, ohne dass er hätte geweiht werden können.

Am 01.12.1921 errichtete der Hl. Stuhl das Apostolische Vikariat Sibirien und ernannte P. Gerard Piotrowski, O. F. M., zum ersten Apostolischen Vikar. Er konnte jedoch nicht nach Russland einreisen und nahm deshalb nie seine Tätigkeit auf. Am 01.11.1926 wurde Julian Gronski Apostolischer Administrator von Sibirien. Er residierte in Tomsk. 1931 wurde er verhaftet, und nach der Gefangenschaft begab er sich 1933 nach Litauen. Das Vikariat blieb unbesetzt und hörte um 1936/1938 auf zu bestehen. Für Russisch-Fernost schuf Rom am 02.02.1923 das Bistum Wladiwostok und ernannte Karol Śliwowski zum Bischof. Dieser, geboren am 29.06.1855, wurde am 28.11.1923 im heute chinesischen Harbin zum Bischof geweiht. Unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion wurde er in ein abgelegenes Dorf, Sedanka bei Wladiwostok, verbannt, wo er am 05.01.1933 verstarb, ohne sein Bischofsamt je ausgeübt zu haben.

Ende 1924 verblieb in der UdSSR deshalb kein einziger amtierender Bischof. Lediglich in der Südukraine lebte noch der bereits 1849 geborene  emeritierte Bischof Anton Johannes Zerr von Padua, ehemaliger Ordinarius von Tiraspol, der schon 1901 zurückgetreten war und 1934 verstarb.

In dieser verzweifelten Situation entschied sich der Hl. Stuhl im Jahr 1926 erstmals in der jüngeren Kirchengeschichte, zur Aufrechterhaltung der Seelsorge einige Bischöfe und Apostolische Administratoren geheim zu ernennen und die Bischöfe geheim weihen zu lassen. Als Konsekrator der noch auszuwählenden Bischöfe entschied sich Papst Pius XI für den Rektor des Päpstlichen Orient-Institutes, den französischen Jesuiten Michel-Joseph Bourguignon d’Herbigny. Dieser wurde daraufhin am 11. Februar 1926 seinerseits geheim zum Titularbischof von Ilio (sic!) ernannt, dem historischen Troja. Er begab sich nach Berlin, wo er von Erzbischof Eugenio Pacelli, dem Apostolischen Nuntius in Deutschland und späteren Papst Pius XII, in der Nuntiaturkapelle am 29. März geheim zum Bischof geweiht wurde.

Tragische Gestalt und trojanisches Pferd des Heiligen Stuhls: Bischof Michel-Joseph Bourguignon d’Herbigny, S. I.

Pater d’Herbigny reiste unter dem Vorwand einer humanitären Aufgabe in die Sowjetunion ein, wo er sich nach geeigneten Priestern umsah, die er mit päpstlicher Vollmacht geheim zu Apostolischen Administratoren und zu Bischöfen ernannte.

Hierbei handelte es sich um:

1926 – 1937 Administrator Augustin Baumtrog, Wolga

1926 – 1937 Administrator Bf. Alexandr Frison, Odessa

1926 – 1938 Administrator Johann Roth, Kaukasus

1926 – 1938 Vikar Stefan Demurof, Tiflis und Georgien

1930 – 1962 Vikar Carapet Dirlughian, Armenier in Russland

1926 – 1981 Administrator Bf. Bolesļavs Sloskāns, Mohilew

1926 – 1946 Administrator Bf. Pie Eugène Neveu, A. A., Moskau

1926 – 1935 Administrator Bf. Antoni Malecki, Leningrad

1926 – 1937 Administrator Vincent Ilgin, Kharkov

1926 – 1959 Administrator Michael Juodokas, Kazan, Samara und Simbirsk

Mons. Bolesļavs Sloskāns, letzter Überlebender der d’Herbigny-Weihen, starb 1981 im belgischen Exil.

Die vier Bischofskandidaten wurden umgehend heimlich geweiht. Während ihre Namen erst ab 1928 publiziert wurden, gab Mons. d’Herbigny sich noch in Moskau als Bischof zu erkennen. Dieser unbedachte Schritt hatte seine Ausweisung zur Folge; die Identität der Bischöfe wurde den Behörden schnell bekannt, zumal die Weihekirche St. Ludwig sich unmittelbar neben der Zentrale des staatlichen Geheimdienstes befand. Bischof Sloskāns musste 1933 ins Exil, Bischof Malecki 1934 und Bischof Neveu 1936. D’Herbigny, nach Rom zurückgekehrt, verlor das Vertrauen des Papstes. 1937 wurde er amtsenthoben und in ein Kloster verbannt, wo er am 23.12.1957 verstarb.

Bereits im Dezember 1926 wurde Mons. Ilgin (Ilyin) inhaftiert, im Folgejahr traf es die Bischöfe Sloskāns und Neveu. Auch Bischof Frison wurde kurz nach seiner Weihe inhaftiert, dann unter Hausarrest gestellt, am 13.05.1935 erneut verhaftet und am 17.03.1937 in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Er wurde am 2. August 1937 im NKWD-Gefängnis von Simferopol erschossen. Erst 1942 wurde sein Tod im Westen bekannt.

Mons. Pie Eugène Neveu, A. A., Apostolischer Administrator in Moskau

Nach 1926 wurden noch drei weitere Bischöfe geheim ernannt: 

1928 – 1930 Administrator Bf. Akop Bacaratian, für die Armenier in Russland

1928 – 1943 Weihbischof Teofilius Matulionis, Leningrad, Titularbischof von Matrega

1934 – 1961 Weihbischof Jean Maurice Marie Felix Amoudru, O. P., Moskau, Titularbischof von Pirgo

Der armenische Administrator Bacaratian konnte gleichwohl nie die Weihe empfangen; im Februar 1936 wurde er erschossen.

Mons. Teofilus Matulionis, Weihbischof in Leningrad

Die Weihen der Bischöfe Matulionis und Amoudru nahmen Bischof Neveu bzw. Bischof Malecki vor. Mons. Matulionis lebte lange Jahre in Haft und Verbannung und starb 1962 in Litauen; am 25.06.2017 wurde er selig gesprochen. Mons. Amoudru, der 1961 starb, wurde bereits kurz nach der Weihe abgeschoben. Bischof Bacaratian kam, wie erwähnt, bereits während des Stalin-Terrors ums Leben.

1943 soll der Jesuit Viktor Novikov, seit 1940 ukrainischer Exarch für russische Katholiken in Sibirien, zum Bischof konsekriert worden sein; diese Weihe ist jedoch nicht sicher belegt. Eine Sonderstellung nimmt der russisch-orthodoxe Bischof Varfolomey Remov ein, der 1921 als Assistenzbischof von Moskau geweiht wurde. Er konvertierte 1932 geheim zur katholischen Kirche und wurde am 03.07.1933 von Pius XI zum Titularbischof von Sergievo und Weihbischof des Apostolischen Administrators Neveu für den byzantinischen Ritus ernannt, ohne dass diese Ernennung je veröffentlicht wurde. Am 26.06.1935 wurde der nach außen hin immer noch orthodoxe Bischof hingerichtet.

Nach dem tragischen Ausgang dieses Versuches, gegen den Druck des Terrors eine Hierarchie zu etablieren, verzichtete der Heilige Stuhl auf die Bestellung weiterer Geheimbischöfe. Erst am 10. Mai 1989, auf dem Höhepunkt der Perestroika, konnte mit Mons. Tadeusz Kondrusiewicz, dem späteren ersten Erzbischof der Erzdiözese der Muttergottes in Moskau, für das weißrussische Minsk ein Apostolischer Administrator im Rang eines Titularbischofs ernannt werden, um vor allem die Seelsorge der polnischstämmigen Bevölkerungsanteile sicherzustellen. 2007 kehrte Mons. Kondrusiewicz als Metropolit von Minsk-Mohilev nach Weißrussland zurück.

Die Auslandsrussen hatten eigene Apostolische Visitatoren:

03.07.1930 – 00.00.1933: Francis-Peter Bucys, M. I. C., Titularbischof von Olympus

31.10.1936 – 19.03.1947: Aleksandr Evreinov, Titularbischof von Pionia, als Prälat für die Russen

13.06.1952 – 14.11.1958: Bolesļavs Sloskāns, Titularbischof von Cillio

14.11.1958 – 00.00.1977: Andrey Katkov, M. I. C., Titularbischof von Nauplia

00.00.1978 – 00.00.1992: Protopresbyter Georgiy Roshko.

Seitdem wurden keine eigenen Visitatoren für die Russen mehr ernannt. Von 1996 bis zum Oktober 2002 fungierte der ukrainische Bischof Wasyl Ihor Medwit als Apostolischer Visitator für die griechisch-katholischen Gläubigen in den Ländern Zentralasiens, und am 18.01.2005 bestimmte der Papst Bischof Joseph Werth, S. I., zum Ordinarius für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Russland. Die unierten Gläubigen können bis heute in Russland keine Pfarreien registrieren lassen. Hinzu kommen interne Spannungen innerhalb der unierten Gemeinde, da ein Teil ihrer Priester von der russischen Orthodoxie konvertiert ist. Diese verkündeten 2004 die Wiederherstellung des unierten Exarchates, wobei der Hl. Stuhl diesen Schritt nicht anerkannte. Als Delegat der Kongregation für die Orientalischen Kirchen für die griechischen Katholiken in Kasachstan und Zentralasien fungierte seit 2002 der mitrierte Erzpriester Vasyl Hovera, seit 2019 dort Apostolischer Administrator.

Gescheitert ist der Versuch des damaligen ukrainisch-katholischen Statthalters von Lviv, Erzbischof Volodymyr Sterniuk, für Russland einen eigenen Bischof des byzantinischen Ritus zu installieren. Im Herbst 1990 erteilte er in seiner Residenz in Lviv „sub conditione“ dem apostatischen russisch-orthodoxen Bischof Vinkentiy Chekalin die Bischofsweihe. Dieser war 1988 Bischof einer orthodoxen Splittergruppe und erst am 31. März 1990 Bischof der autokephalen ukrainisch-orthodoxen Diözese Solnechnogorsk geworden. Seine Einsetzung erfolgte ohne päpstliches Mandat und war Ursache erheblicher Irritationen zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Hl. Stuhl. Der eigenmächtige Schritt Erzbischof Sterniuks führte 1991 zu dessen Emeritierung; Chekalin verließ das Land Richtung Australien und kehrte auch Rom den Rücken. Jahre später, am 14.10.2007, konnten die Bischöfe Stepan Meniuk aus der Ukraine und Joseph Werth, der Ordinarius für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Russland, in Novokusnezk eine birituelle Pfarrkirche im byzantinischen Stil konsekrieren, die erste seit dem Untergang der alten Diktatur.

Die Fotos dieser Seite entstammen den Archiven von Herrn Hofrat Dr. Manfred Kierein, Wien, P. Pyshkovych und dem des Autors. Ko-Autor dieses Artikels ist P. Manuil Pyshkovych, M. S. U., vom Univ Lava, Ukraine.

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